„Üben! Sieben Wochen ohne Stillstand“
Mein Magen knurrt. Ich schaue auf die Uhr. Zehn Uhr. Noch drei Stunden, dann darf ich endlich wieder was essen. Ich faste sechzehn Stunden am Tag. Ich opfere meine Snacks und meine geliebten Nutella-Brötchen am Morgen. Ich habe schlechte Laune und in meiner Küche stapeln sich die Süßigkeiten. Ist ja keiner da, der sie essen könnte.
Ich wünschte, ich könnte sagen: „Ich mache das, um mich und meine Beziehung zu Gott zu hinterfragen.“ Aber der Grund ist leider völlig banal: Mein schwarzer Anzug zwickt und ich bin zu eitel ihn zum Schneider zu bringen.
Obwohl mir das Fasten schwerfiel, hat es in mir ein Feuer geweckt, das ich schon fast vergessen hatte: Die Lust am Neuen. Seit Jahren war ich gefangen in meinen Routinen. Früher habe ich halbjährlich neue Sachen probiert. Ich habe Tuba, Kontrabass und Schlagzeug gespielt; bin Schlittschuh gelaufen, Skateboard gefahren und habe mich durch Bücher von Dostojewskij gequält. Vieles habe ich nach ein paar Wochen fallen lassen. Aber ein paar Sachen haben mein Leben komplett auf den Kopf gestellt. Wie der Moment, als ich das erste Mal meinen Vater auf seiner Joggingstrecke begleitet habe. Als wir nach einer halben Stunde wieder das Auto erreichten, ging es mir richtig schlecht. Alles drehte sich, mein Kopf dröhnte, das Rauschen des Baches und das Zwitschern der Vögel waren unerträglich laut. Woche für Woche habe ich mich über die Waldpiste gequält, bis zu diesem einen Tag im Mai. Langsam trabten wir los, immer entlang der Katzbach, vorbei an dem alten Baum, der Waldhütte, den Fischteichen und der Schlucht. Wir quälten uns das letzte Stück über eine Kuppe, drehen um und plötzlich funkelt die untergehende Sonne durch die Bäume. Wir überqueren die Anhöhe und sind gekleidet in dem goldenen Schein der Sonne.
Sowas habe ich vorher noch nicht erlebt. Alle Schmerzen sind vergessen. Ich fühle mich federleicht und fliege über den Waldweg hinweg zum Auto. Seitdem hat mich der Laufsport nie wieder losgelassen.
Die Fastenaktion der evangelischen Kirche setzt in diesem Jahr genau da an. Sie heißt: „Üben! Sieben Wochen ohne Stillstand“. Es ist die Ermutigung, den Alltag aufzubrechen. Etwas Neues zu probieren. Etwas Neues einzuüben. Zwei Dingen werden Sie auf dem Weg sicher begegnen: Dem Schweinehund und dem Überraschungserfolg – aber vielleicht begegnen Sie auch Gott, denn wo etwas aufbricht, kann sein göttliches Licht durchleuchten.
Ihr Pfarrer Jonas Schindelmann