Pfarrer

Geistliches Wort – Herbst 2021

Erst standen wir über Stunden in brütender Sonne im Stau und jetzt auch noch das: Kurz bevor wir Berchtesgaden erreichen, öffnet sich der Himmel und es regnet wie aus Kübeln. Die Straße ist nur noch zu erahnen. Langsam tasten wir uns vor. Nach einer Ewigkeit kommen wir im Urlaubsort an. Die Berge sind nicht zu sehen, unser Zimmer ist eine Katastrophe und neben uns checkt gerade eine Gruppe feierwütiger Partytouristen ein.

Bevor wir verzweifeln, schnappen wir uns einen Schirm und erkunden schlendernd den Ortskern und kehren schließlich in einem griechischen Restaurant ein.

Ein Helles, ein Ouzo und eine Dionysos-Platte und schon sieht die Welt anders aus. Reißt es dahinten nicht sogar auf? Leider nicht. In der Nacht peitscht der Regen gegen die Fenster. Eine Sirene nach der anderen huscht am Hotel vorbei.

Plötzlich leuchtet mein Handy auf. Mein Bruder schreibt: Geht es euch gut? Seid ihr in Sicherheit???

Ich verstehe nicht, was er will. Doch, bevor ich antworten kann, kommen immer mehr Nachrichten rein. Meine Schwester, mein Vater, Nachbarn, Freunde und Bekannte und alle mit ähnlichem Inhalt: Ist alles okay bei euch?!

Etwas hilflos schalte ich den Fernseher ein und tatsächlich: Unser Urlaubsort ist in den Nachrichten. Was ich da sehe lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen. Ich sehe wie Flüsse über die Ufer treten. Die Straße, auf der wir hergekommen sind, gibt es einfach nicht mehr.

Obwohl mich die Bilder schockieren, legt sich ein warmes Gefühl wie eine Strickjacke um meine Schulter: Es gibt da draußen tatsächlich Menschen, die sich um mich sorgen, die in Gedanken bei mir sind.

Den andern im Blick haben und sich umeinander kümmern, war schon bei den frühen Christen ein Thema.  Im Hebräerbrief heißt es: „Lasst uns aufeinander achthaben und einander anspornen zur Liebe und zu guten Werken.“

Jeder hilft im Rahmen seiner Möglichkeiten. Und das hat sich seit zweitausend Jahren nicht verändert. In Berchtesgaden wurde die Situation professionell gelöst, aber in den Hochwassergebieten im Westen Deutschlands war die Hilfsbereitschaft überwältigend. Menschen haben geschippt, geschleppt und geräumt. Jeden Abend hat Gundula Gause in den Nachrichten neue Rekordspenden vermelden können.

Auch unsere Gemeinde hat ihren Teil beigetragen. Die Erlöse aus dem Biergarten im Pfarrgarten gingen komplett an die Opfer der Flutkatastrophe. Das hat mich riesig gefreut. Denn anderen helfen ist gelebtes Christentum. Und so wird aus einem Fest ein Gottesdienst.

 

Ihr Pfarrer Jonas Schindelmann

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