Gott spricht: „Suche Frieden und jage ihm nach!“
Psalm 34,15
Nur noch selten kommt die ganze Familie zusammen. Alle wohnen inzwischen weit verstreut. Wenn sie dann um einen Tisch sitzen, trifft vieles aufeinander. Unsichtbar mit dabei ist bei den meisten aus der Runde der Wunsch, es möge doch alles friedlich und harmonisch zugehen und bitte kein Thema zur Sprache kommen, bei dem der Konflikt schon vorprogrammiert ist. Da reichen oft schon gewisse Stichworte … Und immer gibt es die, die mit Begeisterung darauf eingeht und ein Kämpfchen wagt, und auch den, der schnell alle Wogen zu glätten versucht.
Was tun wir nicht alles „um des lieben Friedens willen“? Wie viel wird unter den Teppich gekehrt? Da kann es so lange liegen, bis irgendwer irgendwann darüber stolpert. Dann ist es schnell um den „lieben Frieden“ geschehen. Er ist kein Dauergast, der einfach so mit am Tisch sitzt und ein friedliches Miteinander garantiert. Weder in unseren Familien und unserer Gesellschaft, noch in unserer Welt, auch nicht in unseren Kirchen und Gemeinden. Überall erleben wir, wie zerbrechlich und flüchtig der Friede ist. Wie leichtfertig und oft auch unbedacht wir ihn aufs Spiel setzen.
Frieden ist ein Dauerthema – nicht erst heute, sondern schon zu biblischen Zeiten.
Der Verdacht legt sich nahe, dass so viel von ihm geredet wird, weil wir ihn so sehr vermissen und es an allen Ecken und Enden brennt. Viele sehnen sich danach und scheitern doch daran, ihn zu leben. Anspruch und Wirklichkeit klaffen oft weit auseinander.
„Suche Frieden und jage ihm nach!“, fordert David im 34. Psalm. Dabei könnte er in seiner Situation auf ganz andere Gedanken kommen. Er ist auf der Flucht vor dem übermächtigen König Saul, der ihm seine Erfolge neidet und ihm nach dem Leben trachtet. Unzufriedenheit kann schnell zur Wurzel von Hass und Entzweiung werden. Wie oft sind der neidvolle Blick auf andere oder unterschwellige Sorgen, im Leben zu kurz zu kommen, Ursache für Streit und Auseinandersetzungen! Wo quält uns die meist uneingestandene Angst, an Einfluss, Ansehen oder Macht zu verlieren?
„Schalom“
Im hebräischen Denken bedeutet „Frieden“ weit mehr als nur die Abwesenheit von Streit und Krieg, auch keine Friedhofsruhe. „Schalom“ meint eine tiefe Sehnsucht nach einer heilen, unversehrten Welt, in der keine Gefahr mehr droht. „Schalom“ ist die unverbrüchliche Hoffnung auf ein gerechtes und alle Feindschaft überwindendes Miteinander der ganzen Schöpfung: „Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten, dass in unserm Land Ehre wohne; dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen; dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue“. (Psalm 85,10-12)
Diese Friedensbotschaft ist Kern aller prophetischen Verkündigung und Erwartung. So hofft und verheißt der Prophet Micha: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen“. (Micha 4, 3ff) Letztlich kann nur einer die zerstörte und zerstrittene, von Gott abgefallene Schöpfung am Ende der Zeiten wieder zurecht bringen und heilen: der von Gott eingesetzte Friedenskönig, der von Israel sehnsüchtig erwartete Messias.
Suche Frieden und jage ihm nach!
Ein strahlend weißes Kreuz erstreckt sich über die gesamte Grafikcollage Stefanie Bahlingers und reicht sogar darüber hinaus. Es sprengt Raum und Zeit, verbindet Himmel und Erde, umfasst alles, was war, was ist und was noch sein wird. Die Künstlerin wählt ein Kreuz als Zeichen des Friedens. Den Ort, an dem Christus alle feindlichen Mächte besiegt hat. Am Kreuz hat Gott mit uns Menschen und seiner ganzen Schöpfung Frieden geschlossen. Auf unserer Suche nach gerechtem Frieden im Kleinen wie im Großen kommen wir nicht am Kreuz vorbei! Wie die vielen Menschen in der Grafik, die einander ohne trennende Mauern und Grenzen ganz nah sind. Sie geben einander Halt und leuchten in den Regenbogenfarben, die wie durch ein Prisma vom reinen Weiß des Kreuzes reflektiert werden. Da stören keine Unterschiede, auch nicht der Herkunft, angedeutet durch die aneinandergefügten Schriftfragmente des Vaterunsers in verschiedenen Sprachen. Ihre Anordnung erinnert an ein „Haus lebendiger Steine“, mit dem das Reich Gottes immer wieder verglichen wird. Möglicherweise bilden die Personen auch eine „Menschentraube“ als Hinweis auf Jesu Rede vom Weinstock und seinen Reben, die nur am Weinstock Frucht bringen können. Allein, abgelöst von ihm und seiner Gemeinde lebt es sich gefährlich: „Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. (…) Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ (Matthäus 10, 16 u. 34), sagt Jesus zu den Menschen, die ihm nachfolgen. Was für eine Zumutung! Genauso deutlich lässt er sie wissen: „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ (Johannes 14, 27) Was für eine Verheißung! Diese Spannung mag verwirren und ist nicht einfach zu lösen.
„Amen“
„Suche Frieden und jage ihm nach!“ – geht nur mit der Bereitschaft, die Blickrichtung zu wechseln und sich von Christus immer wieder neu ausrichten zu lassen. Die Farben verlieren sich zum unteren Bildrand hin, an dem alle Unterschiede nahezu aufgehoben und dem Weiß des Kreuzes angeglichen sind. „Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen“, (Matthäus 5, 9) verspricht Jesus in der Bergpredigt. Als seine Kinder sind wir dazu berufen, Licht der Welt zu sein. Wie die einladende, helle Stadt auf dem Berg im Hintergrund.
Zu ihr zieht es auch die Menschen am rechten und linken Rand. Deutlich „gebrochene“, grau-schwarze Existenzen sehnen sich mit ihren abgeknickten und kaputten Beziehungen nach Heilsein, nach dem Schalom! In den Bruchstücken ihres Lebens sind auch Ausschnitte des Vaterunsers zu lesen: „… vergib uns unsere Schuld …“ Frieden und Versöhnung zu leben, ist eine Überforderung, wenn wir dabei nur von unseren Möglichkeiten ausgehen. So steht auch das „Amen“ direkt am Fuß des Kreuzes. Frieden und Versöhnung zu leben, haben wir nie im Griff. Und doch sind wir dazu aufgerufen:
Suche Frieden und jage ihm nach!
Was lähmt und hindert mich daran, in Frieden zu leben?
Die Grafik stellt Phasen meines Lebens in seiner ganzen Bandbreite dar und mutet mir ganz persönliche Fragen zu: Wo würde ich mich selber gerade ansiedeln? Wo sind Beziehungen zerbrochen? Welche Trümmer liegen im Weg und könnte ich aus dem Weg räumen? An welcher Stelle sollte ich von meiner festgefahrenen Sicht der Dinge Abstand nehmen und vielleicht nicht länger auf mein Recht pochen und alte Wunden lecken? Was lähmt und hindert mich daran, in Frieden zu leben? Auch mit mir selber und meiner Geschichte …
Manchmal scheint es leichter zu sein, sich für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt zu engagieren, als sich den Herausforderungen in unmittelbarer Nähe zu stellen. Das eine darf das andere aber nicht ausschließen.
Suche Frieden und jage ihm nach!
Christus lädt uns ein in seinen Frieden. An uns liegt es, wie wir uns an ihn und seine Versöhnungskraft „binden“ lassen, angedeutet durch die beiden goldenen Diagonalen in der Mitte des Kreuzes. Dann bleibt es nicht aus, dass wir seinen Frieden an unserem Platz wiederspiegeln. Oft nur verschwommen und flüchtig. Bis am Ende der Zeiten der ewige Schalom anbricht:
Dafür steht der goldene Bogen am oberen Rand der Grafik. Wenn Jesus durch das goldene Tor in Jerusalem kommt, bricht für alle sichtbar das ewige Friedensreich an: „Und es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.“ (Lukas 13, 29)
Bei diesem großen Festmahl wird der Friede als „Dauergast“ mit am Tisch sitzen.
Das garantiert der Gastgeber persönlich!
Jahreslosung im Verlag am Birnbach
Auslegungstext: Renate Karnstein